Zum Hauptinhalt springen

Aktuelles

Unbekanntes Waldkulturerbe: Warum historische Hutewälder unsere Aufmerksamkeit verdienen

16.12.2024: Hutewälder sind ein einzigartiges kulturhistorisches Relikt. Sie entstanden durch die jahrhundertelange Beweidung von Wäldern mit Nutztieren und besitzen heute einen hohen Wert für die biologische Vielfalt. Neueste Ergebnisse der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt zeigen, dass in Nordwestdeutschland mehr historische Hutewälder erhalten geblieben sind als zuvor angenommen. Doch ohne aktive Pflege droht dieser einzigartige Waldlebensraum zu verschwinden. Das Forschungsprojekt wurde von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) gefördert.

„Der enorme Artenverlust ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung“, sagt DBU-Generalsekretär Alexander Bonde. „Biodiversitäts-Hotspots wie Waldweiden und lichte Waldstrukturen müssen erhalten bleiben. Das Forschungsprojekt hat gezeigt, dass in einem Management von Hutewäldern durch Waldweide ein großes Potenzial für die Artenvielfalt liegt. Auf durch abgestorbene Fichten frei gewordenen Waldflächen besteht darüber hinaus die Möglichkeit zur Re-Etablierung von Hutewaldsystemen, angrenzend an historische Hutewälder.“

Unsere Vorfahren waren von der Beweidung der Wälder abhängig. Bis weit in das 19. Jahrhundert hinein wurden Weidetiere im Sommerhalbjahr in die Wälder eingetrieben, auch wurde Futter für den Winter im Wald gewonnen. Menschen und Tiere öffneten den Wald. Er wurde licht und die Sonne drang bis zum Boden vor. Da die Holzproduktion nur eine von vielen Nutzungen des Waldes war, durften alte Bäume bis zu ihrem natürlichen Ende stehen bleiben, um etwa Eicheln oder Bucheckern für die Schweinemast zu liefern. In Deutschland gibt es kaum Waldgebiete, die nicht in die historische Waldweide einbezogen waren. Dennoch sind bis heute erhaltene Hutewälder eine große Seltenheit und bedürfen unserer Aufmerksamkeit.

Die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt (NW-FVA) hat jetzt erstmals die noch erhaltenen Relikte historischer Hutewälder Nordwestdeutschlands (Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein) systematisch erfasst. Zwischen 2022 und 2024 führte sie hierzu ein von der DBU gefördertes Forschungsprojekt (https://www.nw-fva.de/forschen/projekte/hutewald) durch. Demnach existieren in den vier Bundesländern mehr Hutewaldflächen als zuvor vermutet. Sie umfassen insgesamt ca. 3700 Hektar. Jedoch fehlt es dabei meist an geeigneten Schutzkonzepten für diese gefährdeten Waldlebensräume.

Der Biotoptyp Hutewald gilt nach der Roten Liste bundesweit als akut von vollständiger Vernichtung bedroht. Zugleich gehört er zu den Waldtypen mit dem höchsten Artenreichtum, da die jahrhundertelange Beweidung stabile Lebensräume für spezialisierte Arten lichter Wälder schuf. Leider wachsen viele Flächen heute mit Schattbaumarten zu. Anders als in Naturwäldern, in denen natürliche Prozesse ungestört ablaufen sollen, ist im Hutewald eine an der historischen Waldwirtschaft orientierte Pflege notwendig. „Nur so lassen sich die besonderen lichten Strukturen und die Artenvielfalt der Flächen erhalten. Beispielprojekte zeigen, dass die Wiederaufnahme der Waldweide unter heutigen Bedingungen möglich ist“, erläutert Dario Wolbeck von der NW-FVA, der das Projekt bearbeitet hat. Trotzdem gibt es bei dieser Form der Bewirtschaftung noch Wissenslücken. Diese gilt es zu schließen, um Waldbewirtschaftende bei der Umsetzung von Waldweide zu unterstützen. Geeignete Beweidungskonzepte tragen dabei nicht nur zum Schutz der Hutewälder und ihres Artenreichtums bei, sondern fördern auch deren Struktur- und Lebensraumvielfalt. Dies verbessert gleichzeitig die Anpassungsfähigkeit des Ökosystems Hutewald an den Klimawandel. Für die weitere Erforschung und den Erhalt historischer Hutewälder durch Beweidung will sich die NW-FVA im Rahmen eines Folgeprojekts ab 2025 einsetzen. Gemeinsam mit Praxispartnern im Forstbereich sowie Tierhaltern sollen dabei ein Leitfaden und konkrete Umsetzungskonzepte für die Beweidung historischer Hutewälder entwickelt werden.